Donnerstag, 1. Oktober 1914

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 1. Oktober 1914Danksagung. Für die am 25. September bei dem Regiment 160 eingetroffenen, von allen Seiten gespendeten Liebesgaben spricht das Regiment seinen allerherzlichsten Dank aus. Wer gesehen hat, mit welcher Freude die Liebesgaben von unserem Bonner Regiment draußen in Empfang genommen worden sind, weiß, welche große Wohltat damit unseren im Felde stehenden Soldaten erwiesen wurde. Leider mußte bei der großen Zahl der Bedürftigen trotz der bewiesenen Gebefreudigkeit mancher unbedacht bleiben. Die Sorge, in Zukunft auch diese Lücke auszufüllen, legt das Regiment vertrauensvoll in die Hände der mit ihm so eng verknüpften Garnisonsstadt.
I.A.: Von Stuckrad, Hauptm.

Eine beherzte Mahnung. Die Rhein. Westf. Zeitung entnimmt einem Soldatenbrief die folgende, beherzigenswerte Mahnung:

Die Granate, von der ich getroffen wurde, schlug hinter mir in die vierte Kompanie ein und hat großen Schaden angerichtet. Das Gefecht, vielmehr die Schlacht, dauert schon seit sieben Tagen und ist das Ende noch nicht zu schätzen. Die Verluste auf beiden Seiten sind gar nicht zu beschreiben. Eine Bitte hätte ich: Sagt doch mal den größeren Zeitungen, man möge bekannt geben, daß die Ulk-Karten über den Krieg nicht auf die Kriegsschauplätze versandt werden, denn hier den Leuten steht bei diesem Jammer der Verwundeten, bei diesem Schlachtgetöse, Elend und Verzweifelung nicht der Sinn nach – teilweise recht faden – Witzen. Im Gegenteil, wie ich die Post in der vergangenen Nacht (denn das kann nur des Nachts gemacht werden) austeilte, da habe ich verschiedentlich Klagen darüber gehört. Man soll doch einfache Postkarten oder Briefe nehmen und die Groschen, welche für Ulk-Karten ausgegeben werden, für die Liebeskarten verwerten, denn die tun uns besser gut. Auch hat man allgemein mehr das Verlangen nach Tabak, Zigarren, als nach Schokolade und dergleichen.

 (Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 1. Oktober 1914Die Beteiligung der Militärvereine an der Beerdigung hier verstorbener Krieger ist am Dienstag abend, nachdem der stellv. Vorsitzende, Kamerad Jansen, die Angelegenheit entsprechend erläutert hatte, einstimmig vom Vorstand des Kreiskrieger-Verbandes Bonn (Stadt) beschlossen worden. Der Vorsitzende des Kavallerie-Vereins, Kamerad Klukmann, hat sich bereit erklärt, beim Garnison-Lazarett Tag und Stunde der Beerdigung zu erfahren und das weitere zu veranlassen. Es wird erwartet, daß die Beteiligung bei den Beerdigungen immer recht zahlreich sein wird.

Abschied der Garde-Train. Reserve-Mannschaften der Garde-Train [Nachschub-Einheit] aus Tempelhof bei Berlin, die 21 Tage hier in Quartier lagen, haben gestern unsere Stadt verlassen. Auf der Riesstraße waren die Soldaten angetreten, und ein Oberleutnant hielt dort eine Ansprache, in der er der Stadt Bonn und den Quartiergebern in herzlichster Weise dankte. Die Verpflegung in Bonn sei derartig gewesen, daß er sich unbedingt verpflichtet fühle, namens seiner Kameraden öffentlich Dank auszusprechen. Sie würden Bonn niemals vergessen. Zum Schluß brachten die Mannschaften auf Bonn und seine wackere Bürgerschaft ein dreifaches Hurra aus. Unter fröhlichem Gesang zogen sodann die Mannschaften, die von ihren Quartiergebern mit Blumen und Fähnchen geschmückt waren, zum Güterbahnhof. Sogar die Pferde der Offiziere waren mit Blumen dekoriert.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Ehrhardt’sches Konservatorium. In der am Montag, den 28. September, stattgefundenen Prüfung erlangte Frl. E. Schoeneberger aus Bonn das Reifezeugnis als Klavierlehrerin. Prüfungskommissar war Herr Dr. E. Reitzel, Köln.

Englische Versicherungsgesellschaften. Bei dem unendlichen Schaden, welchen man von englischer Seite unserm Erwerbsleben zuzufügen sucht, dürfte es angebracht erscheinen, auf die in Deutschland lebhaft tätigen englischen Feuerversicherungen hinzuweisen. Es gibt doch, wie jeder zu Genüge weiß, in Deutschland solide und kulant regulierende Feuerversicherungen genug, so daß wir englische Gesellschaften gewiß nicht zu unterstützen brauchen. Es sind mehrere englische Gesellschaften bei uns tätig, North British merkantile z.B. und andere mehr. Es wird oft dem Publikum, um die englische Firma nicht zu sehr hervorzuheben, gesagt, der Name sei freilich englisch, allein alles werde in Deutschland geleitet und auch das Kapital sei deutsch. Dieses ist aber meistens nicht wahr, sämtliche Dividenden, und darauf kommt es ja an, gehen nach England. Es wird ja meistens irgend ein Manöver angewandt, um den Michel beim guten Glauben zu halten, es sei alles deutsches Kapital, aber die Dividenden, die gehen nach England. Ein Bürger

Anzeige in der Deutschen Reichs-Zeitung vom 1. Oktober 1914Aus einem Feldpostbrief eines Bornheimer Kriegers. …9.9.14. Jetzt komme ich wieder mal dazu, Euch nochmal zu schreiben. In den letzten Tagen sind wir immer hin und her gefahren, einen Weg haben wir dreimal gemacht. Wir sollten zur Belagerung bis vor … rücken und waren noch 80 Kilometer davon entfernt. Aber bei … wollten 5 französische Armeekorps durchbrechen nach … zu, weil fast die ganze französische Armee umzingelt ist. In den letzten 10 Tagen waren wir dem Reserve-Armeekorps zugeteilt, weil unseres schon zu viel gelitten hat, es hat nämlich den ganzen Zug über Belgien mitgemacht und wir haben auf unserem Wege viele Gefechte gehabt. Nun mußten wir wieder Tag und Nacht fahren, um zu helfen. Wie immer, hatt’s hier wieder großartig geklappt. Das Gefecht hat auch 2 Tage gedauert. Von morgens früh bis abends geschossen. Am Abend des ersten Tages liefen Hunderte und wieder Hunderte Verwundete durch das Dorf und wollten wenigstens verbunden werden. Auf französischer Seite lagen die Zuaven wieder ganz vorne, dahinter liegen die Franzosen. Die Rothosen werden von den Offizieren ins Gefecht getrieben. Zuaven aus Afrika haben alle schmutzige, weiße Hosen an. Jetzt gings wieder los gegen Engländer. 2 Englische Korps hatten den linken Flügel unserer … Armee angegriffen, wir, die … Division, mußten wieder helfen. Sind wieder 1½ Tage gefahren. Da kam die Kunde, die Engländer seien schon geschlagen. Jetzt sind wir in der großen Weingegend von E…. So weit wie man sehen kann, alles Weinberge. … ist die größte Sektstadt. Die roten Trauben schmecken sehr gut. Ich möchte gerne wissen, wo die Liebesgaben aus Deutschland bleiben. Das Gardekorps ist auch jetzt bei uns, den Riedecker von Sechtem habe ich dabei getroffen. Die haben auch schon viel verloren. In deutschen Zeitungen lasen wir, daß die französischen Verwundeten bei uns eine gute Verpflegung hätten. Wenn ihr hier in einem Gefechte sehen könntet, wie sie unsere Verwundeten behandeln, die sie finden, dann würden die zu Haus anders denken. Es sind die größten Lumpen. Guckt nur mal einem französischen Soldaten ins Gesicht, in die Augen, dann wißt ihr schon genug. Heute haben wir eine französische Brotfabrik ausgeräumt. Eins bald vergessen; in dem letzten Gefecht flogen die Schrapnells nur so zwischen uns. Ich lief was ich laufen konnte, und auf paar Schritte schlug eines neben mir ein. Da bin ich wieder glücklich durchgekommen. Ihr braucht keine Angst zu haben um mich, bin noch immer da, denn der schöne wahre Spruch: Eine jede Kugel die trifft ja nicht, ist wahr, denn träfe jeder Kugel apart ihren Mann, so lebte keiner mehr. Hoffentlich habt ihr meinen letzten Brief erhalten. Die Zigaretten sind doch unterwegs. Bei uns dauert es oft eine Woche, ehe wir die Post-Autos treffen. In der Hoffnung, daß Euch der Brief so gesund antrifft, wie er mich verläßt, grüßt Euch alle recht herzlich Johann. Bis Wiedersehn.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Bonner Kriegsfreiwillige im Thüringerwald.

Man spürte den Mißklang, als mitten in die Sommerherrlichkeit wie eine Bombe der Krieg platzte. Man spürte ihn fast physisch. Die Bäder an der See und im Gebirge waren gefüllt von Sommerfrischlern, die Städte am Rhein warben in Zeitschriften und Prospekten für ihre landschaftlichen und klimatischen Vorzüge, alle Gewerbe, die vom Fremdenverkehr irgendwie profitieren, hatten ,,Hochsaison“, wenn dieser Wortbestand noch einmal gebraucht werden darf, und jeder, der es sich halbwegs leisten konnte, machte Reisepläne, schnürte sein Bündel und zog hinaus.

Und draußen stand der Sommer. Goldgelb wogten die Kornfelder, der Pirol sang, die Erde war Pracht und Glanz.
Da kam die Mordtat von Sarajevo. Und wenige Tage später stand die Welt in Flammen. Am Balkan loderte das Feuer auf. Schneller als ein Pfeil fliegen kann, dehnte es sich nach Norden, nach Westen und nach Osten aus, durchzog Länder und sprang mit einem Riesenschritt über Meere, fraß wie ein nimmersattes Tier den Frieden der Völker und zerstörte mit Titanenfaust die ganze Pracht des Sommers. War es uns nicht, als ob die Vögel nicht mehr so hell und froh ihre Lieder sangen, meinten wir nicht, der rote Mohn leuchte nicht mehr so feurig aus den Aehren, waren die Bienen noch so emsig, wie früher, schwammen im Bach die Forellen jetzt nicht langsam und träge? Und ging die Natur nicht schneller als sonst in den Vorherbst über?
Wir meinten ja.
In Wirklichkeit ging draußen alles seinen jahrtausendealten, gewohnten Gang. Nur sahen wir nun alles mit anderen Augen an. Denn wir waren mit anderen Gedanken erfüllt. Unsere nationale Existenz und Ehre stand auf dem Spiele. Täglich, stündlich rasten Militärzüge an die Grenze, aus jedem Hause wurde wenigstens einer von Weib und Kind, von Vater und Mutter zur Fahne gerufen.
Das Volk stand auf.
Wie bei dem großen Befreiungskrieg vor hundert Jahren brachten Männer und Frauen, Greise und Kinder große materielle und ideelle Opfer. Millionen junge Männer stellten sich dem Vaterlande freiwillig zur Verfügung. Am dritten oder vierten Tage der Mobilmachung teilten die Zeitungen mit, daß die erste Million Kriegsfreiwilliger schon überschritten sei. Diese Tatsache wird der Geschichtshistoriker der Zukunft aus den vielen Großtaten dieser Zeit besonders hervorheben müssen.

Ich glaube , daß dieser Krieg uns einen gewaltigen Schritt einem Ziele näher bringen wird, an dem alle politischen Parteien bisher nur mit relativen Erfolgen gearbeitet haben: nämlich, der Ueberbrückung der Klassengegensätze. Ich sage nicht, der Krieg wird dieses Ziel ganz erreichen. Das kann er nicht. Wer aber jetzt sieht, wie in den Reihen der Bonner Kriegsfreiwilligen ( und nicht nur der Bonner) der Doktor der Philosophie neben dem Handwerker, der Kaufmann neben dem Tagelöhner, der Student neben dem bayerischen Mälzer, der Beamte neben dem Handlanger steht und wie kameradschaftlich das Du und Du sie verbindet, der weiß, diese Freundschaft ist keine konventionelle Höflichkeit. Sie ertragen gemeinsam die Strapazen der Militärzeit, sie sitzen zusammen in ihren Quartieren an den derben Tischen der Bauern und essen Pellkartoffel mit Hering oder ein Stück von dem eben geschlachteten Schwein, jasie teilen nicht selten das Nachtlager miteinander. Sie reden zusammen, lernen sich gegenseitig kennen und(das ist das Wichtigste) – verstehen. Und ein solches Verstehenlernen ist besser als ein noch so fleißig betriebenes theoretisches Studium der Soziologie.

Als wir Bonner Kriegsfreiwillige des Königs Rock anzogen und in den ersten Tagen morgens vor 6 Uhr zum Exzerzieren auf den Venusberg marschierten, meinten wir schon, das ist etwas. Manche spürten nach den Uebungen Gliederschmerzen hier und da, einige verloren auch ein paar Pfund am Körpergewicht, andere konnten sich nur allmählich an die kleinen Unannehmlichkeiten der militärischen Ausbildungszeit gewöhnen, waren von Hause aus verzärtelt und standen dem robusten neuen Leben hilflos gegenüber. Ihr Bonner Eltern solltet Eure Jungens jetzt im Thüringerwald sehen. Unser 3. Bataillon vom Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 235 ist in den Orten Georgenthal, Hohenkirchen und Petriroda einquartiert. Unsere größten Uebungen finden täglich vormittags auf dem Truppen-Uebungsplatz bei Ohrdruf, einem Ort in der Nähe von Gotha statt. Morgens in aller Frühe marschieren wir den gepackten Rucksack auf dem Rücken, den Brotbeutel an der Seite, kurz gesagt, feldmarschmäßig ausgerüstet, dorthin. Da seht Ihr keinen, der nicht den Ehrgeiz hätte, es dem anderen gleich zu tun. Es wird, unserem Ziel geradewegs entgegen, über Sturzäcker marschiert, über Bäche gesprungen, kein Abhang ist uns zu hoch und zu steil. Straßen benutzen wir meist nur dann, wenn sie kein Umweg für uns sind. Der Uebungsplatz liegt auf einem langsam ansteigenden Berge, von dem aus man eine prachtvolle Fernsicht über die Orte, Berge und Täler des Thüringerwaldes hat, bis zu den Türmen von Gotha und noch weiter darüber hinaus bis zu den Burgen der Grafen von Gleichen. Eine Bergkette hat eine ähnliche Gruppierung wie das Siebengebirge, wenn man es von Ittenbach aus sieht. Wir haben den Bergen die Namen unserer heimatlichen sieben Bergen gegeben und meinen nun, ein Stückchen Heimat in unserer Nähe zu haben.
Freilich ermüden uns die ungewohnten kriegsmäßigen Uebungen noch immer, aber wir leisten doch schon erheblich mehr, als in den allerersten Wochen unserer Dienstzeit. Wie schmeckt dann das Butterbrot, das uns die sorgsame Quartierswirtin am Morgen mitgegeben hat, wenn eine Frühstückspause von 10 bis 15 Minuten die Uebungen ablöst. Die meisten verzehren ein Stück Thüringer Bauernbrot mit einem Stück Thüringer Knoblauchwurst. Wie herzhaft wird da hineingebissen. Und wenn nach der Pause wieder ,,Angetreten“ wird zum Schwärmen in Schützenlinien – Sprung auf, Marsch, Marsch, jeder Soldat kennt das – und wenn die Anstrengungen so groß waren, daß man es feucht den Rücken hinunterlaufen fühlt, auf dem Heimweg wird dann gesungen (und alle singen es laut und ehrlich mit) ,,Es ist so schön, es ist so schön, Soldat zu sein.“Ja, es ist wirklich schön, Soldat sein, wenn man die Uebergangszeit; aus dem Zivilleben überwunden hat. Jeder von uns fühlt, daß eine Erneuerung des Blutes in ihm stattgefunden hat. Man ist elastischer, froher, jünger. Die Stubenluft hatte uns bleich und empfänglich für Erkältungen gemacht. Jetzt mag der Wind uns noch so unfreundlich Regenschauern ins Gesicht blasen, die Morgenluft kann noch so kalt sein, nur wenige tragen in einem Schnupfen unbedeutende Folgen daran. Niemand von uns ist ernstlich krank. Und das will unter diesen Verhältnissen doch schon etwas heißen, zumal es hier im hohen Thüringerwald schon anfängt, winterlich kalt zu werden.
Ich könnte noch manches erzählen von den Erlebnissen der Bonner Kriegsfreiwilligen. Lustige Episoden von einer 28stündigen Fahrt im Güterzug vom Rhein bis hierhin. Beobachtungen bei dem großen Barackenlager bei Ohrdruf, in dem sich gegen 20.000 gefangene Franzosen befinden, und allerlei heitere Geschichten aus unseren Quartieren bei den Thüringer Bauern. Ich möchte jedoch den Raum dieser Zeitung nicht allzu sehr in Anspruch nehmen. Wenn wir in kurzer Zeit an unsere Ost- oder Westgrenzen geschickt werden, um zu beweisen, daß wir in diesen Wochen nicht gefaulenzt haben, dann, denke ich, gibt es über ernstere Dinge zu schreiben.

Emil Schwippert.

(Deutsche Reichs-Zeitung)

 

Jetzt ist schon 2 Monate Krieg, wenn es so weiter geht wie bisher, ist in 1 guten Monat alles vorüber. Viele Siege können wir verzeichnen. Gott war mit uns.

Anna Kohns, Tagebucheintrag unter dem 1. Oktober 1914)