Freitag, 4. September 1914

 

Die Theaterfrage

Sollen wir in diesem Winter Theater spielen? – Diese Frage, die in den letzten Wochen für die meisten deutschen Städte entschieden werden musste, beginnt nun auch für Bonn zur Entscheidung zu drängen. Wir haben nur noch wenige Wochen bis zu dem Tage, an dem die Spielzeit beginnen soll. Länger können die Künstler nicht im Ungewissen bleiben. (...) Gewiß, wir haben Krieg, und viele, sehr viele von uns sind dadurch auch wirtschaftlich vor harte und grausame Notwendigkeiten gestellt. Das gibt uns aber doch wohl kein Recht zu unnötiger und überflüssiger Härte gegen andere. Und daß die Schließung des Theaters eine unnötige Härte gegen unsere Schauspieler sein würde, das scheint nicht schwer nachzuweisen.

Was spricht denn eigentlich gegen die Eröffnung der Theaterspielzeit? Die Gründe, die hier angeführt werden, lassen sich in zwei Gruppen teilen. Da sind einmal Erwägungen wirtschaftlicher Art. Man sagt, in einer Zeit, in der alle Kräfte zusammengehalten werden müssen, um für das Notwendige und Unentbehrliche die Mittel aufzubringen, dürfe man weder den städtischen noch den privaten Etat mit überflüssigen Ausgaben belasten. Wobei nun freilich gleich zu fragen wäre, ob denn ein Geld, das für das Theater aufgewendet wird, wirklich ohne weiteres als überflüssige Ausgabe zu buchen sei. Damit wäre man dann schon bei jener zweiten Gruppe von Gründen gegen das Theater angelangt. Es sind Bedenken, die man vielleicht „moralische“ nennen könnte, obwohl sie mit Moral nichts zu tun haben, sondern ganz einfach ein Missverständnis sind. Man sagt, es gehe nicht an, in diesen schweren Zeiten des Krieges, der Kriegspflichten und der Kriegsopfer Theater zu spielen. Wäre das Theater nichts anderes als eine Stätte leichter und seichter Unterhaltung, eine Art billiger und oberflächlicher Zerstreuung, dann hätten gewiß die recht, die in den schweren und ereignisvollen Zeiten, die jetzt über uns stehen, das Theaterspielen und den Theaterbesuch empfinden wie eine Taktlosigkeit und eine schlecht angebrachte Frivolität. Aber ich denke, die wissen wenig vom deutschen Theater und noch weniger von der deutschen Dichtung, die diese Meinung ernsthaft vertreten. (...) Es gibt Dramen von Schiller und Hebbel, von Grillparzer und Heinrich v. Kleist und von Goethe, in denen die Kraft der Seele, die Glut und Flamme der Empfindung und der ganze hinreißende deutsche Idealismus lebt und brennt und wirkt, der nun auch draußen auf den Schlachtfeldern mithilft, unsere Siege zu erfechten. (...)

 

1914 09 04a drzVaterländische Reden und Vorträge. Der erste Abend, der unter dem Vorsitz des Rektors der Universität stehenden Vereinigung für vaterländische Reden und Vorträge findet am nächsten Montag, den 7. September, abends 8 ¼ in der Aula des städtischen Gymnasiums in der Doetschstraße statt. Herr Professor Dr. Karl Sell, der Vorsitzende des Arbeitsausschusses, wird den ersten Vortrag halten über Recht und Würde des Krieges. (...)

Vaterländischer Volksabend veranstaltet von der Bonner Sozialen Wohlfahrts-Vereinigung. Ein Vaterländischer Volksabend am 2. September 1914. Es ist freilich eine Sedanfeier ganz eigener, ja einziger Art. Denn alles, was vor so vielen Jahren die Deutschen ergriff und erschütterte, was sie mit Stolz und Freude, mit einer stillen Trauer und der starken tiefen Begeisterung erfüllte, was das Beste zur Reife brachte und ein ganzes Volk über sich hinaushob, daß jeder einzelne die Wiedergeburt und den Feiertag seines Ichs erlebte: Das alles will nun von neuem auferstehen und gesteigert ins Riesengroße, dreifach Gewaltige Besitz von uns nehmen. Die Kunde, daß unsere Fahne siegreich und der Ansturm unserer Heere unüberwindlich, die stolze Freude über den Mut unserer Soldaten und die Manneszucht unserer Truppen und über dem allen das große, dankbare und andächtige Staunen, daß aus unserer deutschen Heimat, die sonst von einem Volke schlichter, arbeitsamer Bürger bewohnt ist, in der Stunde dunkler Gefahren ein Heer von Helden losbricht, alles ist wieder wie ehemals. (...)Das ist der Sedantag 1914, an dem alles, was über unser deutsches Vaterland gesagt wurde, die erhöhte Bedeutung gewinnen mußte. (...)

Keine Tanzbelustigung. Das Landratsamt gibt bekannt: „Dem Ernst der Zeit entsprechend wird darauf hingewiesen, daß mit einer Erlaubnis zur Abhaltung öffentlicher Tanzbelustigungen bis auf weiteres nicht gerechnet werden darf und daß gegen alle Umgehungsversuche strenge vorgegangen wird.“

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")

 

Herr Generaloberarzt Professor Dr. Jaeger teilt uns folgendes mit:

Aus zahlreichen hierher gelangenden Anfragen ist ersichtlich, daß in Bonn die Meinung verbreitet ist, die hiesigen Lazarette seien überfüllt. Dies ist durchaus unrichtig. Durch regelmäßigen Abschub der transportfähigen Kranken wird dafür gesorgt, dass besonders die größeren Krankenhäuser stets reichlich Raum für zu erwartenden Transport Schwerverwunderter bieten. Die Leichtverwundeten werden zur Zeit noch tunlichst landeinwärts verteilt. Eine Belegung der hiesigen Privatpflegestätten, die sich angeboten haben, darf den Bestimmungen gemäß nicht unmittelbar vor den eintreffenden Transporten erfolgen und ist erst dann zulässig, wenn die jetzt hier liegenden Schwerverwundeten soweit hergestellt sind, daß sie der strengen Krankenhausbehandlung nicht mehr bedürfen. Die Vereinslazarette und Privatpflegestätten werden den Reservelazaretten angegliedert, damit die Uebersicht und Kontrolle über die Verwundeten gesichert bleibt. Aus dem gleichen Grunde dürfen auch Verwundete sich nicht in ihren Familien – sei es hier oder anderswo – behandeln lassen, sondern müssen in den genannten, unter Aufsicht der Militärverwaltung stehenden Unterkunftsstellen behandelt werden.

Die in leichtfertiger und gewissenloser Weise ausgestreuten Behauptungen von Bevorzugungen der französischen oder belgischen Gefangenen seitens der militärärztlichen Pflege weise ich zurück und werde jede derartige Verleumdung auf dem gesetzlichen Wege rücksichtslos verfolgen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Die ganze Bestialität der Belgier hat leider auch ein junger Offizier, der Sohn eines Kölner Bürger, auskosten müssen. Der Bejammernswerte war schwer verwundet, beide Beine von feindlichen Kugeln getroffen. Hyänen des Schlachtfeldes überfielen ihn später und raubten ihn vollständig aus. Da es ihm gelang, einen der Räuber mit dem Revolver zu verwunden, fielen noch andere Personen, darunter auch ein Weib, über ihn her, stachen ihn, wahrscheinlich mit einer Heugabel, in den Rücken, daß das Gedärme heraustrat und versetzten ihm einen Stich in den Unterleib, der die Blase traf. Der Unglückliche wurde bewußtlos und völlig nackt in einer Düngergrube aufgefunden. Man brachte ihn in ein Lazarett, von wo sein herbeigeeilter Vater seine Ueberführung mittels Automobils nach Bonn veranlaßte. Dort liegt er in dem von Prof. Garré geleiteten Spital. Hoffentlich gelingt es dem berühmten Chirurgen, den natürlich tödlich Verwundeten zu retten und zu heilen.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

 (...) Wir sind in den letzten Tagen viel durch diese sonnige Gegend gelaufen. Wie der Teufel hinter den Franzosen, die ganz zersprengt vor uns herlaufen. Alle Augenblicke fangen wir welche. Unsere Kerls saufen Sekt und tragen frische französische Damenunterwäsche. Bei allem Elend muß man oft lachen. Wir rasten hier. Feindliche Granaten platzen über uns. Wir sind über Chalons südlich hinausgegangen. (...) Ich denke viel an Euch alle. Hoffentlich ist bald Frieden. (...)

 (August Macke an seine Frau Elisabeth, Feldpostkarte aus Marson)