Dienstag, 1. September 1914

 

Bonner an der Spitze der deutschen Verwaltung Belgiens. Sowohl der neue Zivil-Verwaltungschef Belgiens, der bisherige Aachener Regierungspräsident Dr. v. Sandt, als auch der gleichfalls nach Belgien berufene bisherige Landrat von Euskirchen, Kaufmann, sind geborene Bonner. Auch der bisherige Erste Staatsanwalt in Frankfurt a.M., Dr. Bluhme, der soeben zur Mitwirkung in der deutschen Zivilverwaltung nach Belgien berufen wurde, ist in Bonn geboren.

Frau Tony Werntgen, die Mutter des vor mehr als Jahresfrist auf dem Hangelarer Flugplatz abgestürzten Fliegers Bruno Werngten, hat sich der Armeeverwaltung als Kraftfahrzeugfahrerin zur Verfügung gestellt. Der Generalkommissar hat Frau Werntgenfür ihr Anerbieten gedankt und mitgeteilt, daß es zu gegebener Zeit davon Gebrauch machen werde.

Schickt Zeitungsausschnitte an unsere Krieger! In einem Feldpostbriefe vom 21. d.M. aus Brüssel, am Tage nach dem siegreichen Einzug in die belgische Hauptstadt, heißt es: „Schreibt doch bitte, wie es sonst auf dem Kriegsschauplatze aussieht. Man erfährt hier nichts! Schickt uns vor allem Ausschnitte der amtlichen Depeschen!“ Diese Bitten wiederholen sich, wie wir hören, zahlreich in anderen Feldpostschreiben. Den Wunsch unserer Krieger wird jeder Angehörige gern erfüllen. Und es ist ihm so leicht gemacht, da der Feldpostbrief bis zu 50 Gramm wiegen darf, ohne einen Pfennig zu kosten. So vernünftig wird ein jeder wohl selbst sein, daß er nur wirklich wertvolles schickt. Also hinein in den Feldpostbrief und hinaus damit!

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")

 

Die beiden katholischen Studentenkonvikte in Bonn als Kriegslazarette

Von geschätzter Seite wird uns geschrieben:

Gleich zu Beginn des Krieges hatten die Direktoren der zwei hiesigen katholischen Studentenkonvikte in hochherziger und patriotischer Gesinnung ihre schönen und behaglichen Studentenheime der Militärverwaltung als Lazarette zur Verfügung gestellt. Während das Konvikt Leoninum an der Endenicher Straße sofort eingerichtet werden konnte, wurde das Konvikt Albertinum zunächst tagelang als Schlafstelle für Schwestern des Roten Kreuz benutzt, die des Befehls harrten, ins Feld zu ziehen. 200 Betten waren andauend so besetzt. Vor wenigen Tagen ist das Haus von den Schwestern frei geworden und konnte nun sofort die Einrichtung als Lazarett ins Werk gesetzt werden.

Die Einrichtung beider Lazarette war in wenigen Tagen vollendet. Im Leoninum wurden aus Speisesaal, Aula, Vorlesungssaal usw. vier große Krankensäle geschaffen. Ein Konferenzzimmer wurde zum Operationszimmer umgewandelt, Waschbecken angebracht usw. Außer den vier großen Sälen sind eine große Anzahl Einzelzimmer vorhanden, so daß Schwerverwundete die nötige Ruhe haben können. Daneben haben Chefarzt und Stationsärzte ihre besonderen Zimmer bekommen. Frau Berghauptmann Krümmer, die unermüdliche und verdienstvolle Vorsitzende des Bonner Vaterländischen Frauenvereins, stellt sofort acht Schwestern zur Pflege zur Verfügung, die in der Bibliothek des Hauses ihr gemeinsames Aufenthaltszimmer erhielten. Als dann die ersten großen Transporte von Kranken und Verwundeten eintrafen, konnte sofort die Probe auf die Leistungsfähigkeit des neuen Lazarettes gemacht werden, indem an einem Tage 120 Kranke und Verwundete Aufnahme fanden. Zunächst hatten die ersteren die Ueberzahl, Fußkranke und sonstige Kranke, daneben nur einige Leichtverwundete. Inzwischen hat sich aber das Bild des Lazarettes ganz wesentlich verändert: die Kranken wurden in die Lazarette der Umgebung von Bonn, z.B. Siegburg abgeführt und gegenwärtig sind nur noch Verwundete, und zum Teil sehr schwere, dort untergebracht. In den letzten Tagen fanden auch 50 verwundete Franzosen dort Unterkunft.

Auch das Albertinum, das in ähnlicher Weise wie das Leoninum hergerichtet wurde, musste sofort, obwohl die Einrichtung noch nicht ganz vollendet war, mit Schwerverwundeten, und zwar über 100 an der Zahl, belegt werden. Auch hier konnte, dank des Entgegenkommens von Frau Berghauptmann Krümmer, sofort eine Anzahl Schwestern vom Roten Kreuz eingestellt werden. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die beiden Direktoren der Anstalten dreimal wöchentlich in den schönen Kapellen der Konvikte militärischen Gottesdienst ohne konfessionellen Charakter halten, dem alle Soldaten, die dazu fähig sind, beiwohnen können. Die großen Gärten der Anstalten dienen den Kranken zur Erholung.

Die beiden so geschaffenen Lazarette sind Abteilungen des Reservelazaretts II, dessen Chefarzt Geheimrat Wald ist, und das jetzt aus sieben Einzellazaretten besteht. Geheimrat Wald erwarb sich infolge seines gegen jedermann liebenswürdigen und entgegenkommenden Wesens bei den Aerzten, dem Personal und nicht zuletzt bei den kranken Kriegern rasch allgemeine Wertschätzung. Es gehören dazu das Marienhospital auf dem Venusberg, das Herz-Jesu-Hospital, das St. Franziskus-Hospital in Kessenich, die genannten beiden Konvikte, die Universitäts-Ohrenklinik und das Vereinshaus vom Roten Kreuz in der Luisenstraße, dessen Protektorat Ihre Königliche Hoheit die Frau Prinzessin zu Schaumburg-Lippe übernommen hat. Die hohe Frau hat schon zu wiederholten Malen die einzelnen Lazarette besucht und dabei eine bewundernswerte Art, mit jedem einzelnen Verwundeten zu sprechen und ihre Anteilnahme zu bekunden, an den Tag gelegt. Besonders interessierte sie der Umstand, daß in verschiedenen der Lazarette Angehörige ihres Leibregiments Nr. 53 in Kalk vorhanden waren, denen sie natürlich ihre besondere Aufmerksamkeit widmete.

Eine große Anzahl Bonner Aerzte von hervorragender Bedeutung und bekannten Namen sind in den verschiedenen Abteilungen des Reservelazaretts tätig (...) Dazu noch die Assistenten der verschiedenen Institute und die Wachhabenden Aerzte. 600 Betten sind vorhanden und stets fast ganz besetzt. Es ist dies indessen nur ein Bruchteil der zur Verfügung stehenden Betten, da es vier Reservelazarette in Bonn gibt, die zusammen annähernd 2000 Lagerstellen beherbergen.

(Bonner General-Anzeiger)

 

Feldpostbriefe und Feldpostkarten treffen jetzt fast tagtäglich in großer Zahl bei uns ein. Sie alle zeugen davon, daß die Bonner Jungens sowohl wie die zu den Fahnen Einberufenen aus der Umgebung trotz der ernsten Zeit den Humor nicht verloren haben. Nicht nur aus allen Teilen unseres alten Vaterlandes, sondern auch „aus den eingemeindeten Vororten“ in Frankreich, Belgien und Russisch-Polen treffen Grüße an uns und die Bewohner Bonns und der unliegenden Ortschaften ein. Gar viele schildern den Gang der Gefechte, die sie mitgemacht haben; wieder andere berichten über die Besichtigung des Ersatztruppen im Hauptquartier durch den Kaiser am vergangenen Samstag. Natürlich ist es uns nicht möglich, die Einsendungen alle im Wortlaut wiederzugeben, da sich naturgemäß viele Aufzeichnungen decken. Wir werden jedoch wie bisher die uns zugehenden Soldatenbriefe sorgfältig prüfen und einzelne markante Episoden wiedergeben. Heute morgen ging uns eine Feldpostkarte von 32 Bonner Jungens der Ersatz-Maschinen-Gewehr-Komp. des Inf.-Reg. Nr. 69 zu, in der wir gebeten werden, der ganzen Bürgerschaft Bonns die besten Grüße zu übermitteln. Sie schreiben, daß sie „das reinste Sportfest“ veranstalteten. Und doch sind wir nicht klein zu kriegen, erklären sie mit Stolz. Jedem wollen sie auch einen Franzosen mitbringen.

Falsche Beschuldigung. In den ersten Kriegstagen wurde, wie wir berichteten, ein hiesiger Geschäftsinhaber wegen Ueberforderung verhaftet; wie wir hören, hat die Untersuchung die Haltlosigkeit der Beschuldigung ergeben, so daß das Verfahren eingestellt wurde.

Anzeige im General-Anzeiger vom 1. September 1914Allerlei Gerüchte über wichtge Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz waren gestern im Laufe des Tages in Bonn verbreitet. Den ganzen Tag erfolgten telephonische und persönliche Anfragen bei uns, ob es wahr sei, daß England Holland ein Ultimatum gestellt habe, oder der Kaiser der Königin der Niederlande 100.000 Mann zur Verteidigung der holländischen Küste zur Verfügung stellen wolle, ob Belfort gefallen sei und ob Antwerpen in unserem Besitz und der König der Belgier gefangen genommen worden sei.
Soweit wir feststellen konnten, sind diese Gerüchte auf dem Eisenbahnwege nach Bonn gelangt. Soldaten, die vom Kriegsschauplatze verwundet zurückkehrten, Sanitätsoffiziere und sonstige Militärs, die in Bonn eintrafen, erzählten, was sie in Koblenz, in Köln, Aachen, Lüttich usw. gehört hatten, und je mehr der Abend heranrückte, umso stärker traten die Gerüchte auf, sodaß wir uns der Anfragen schließlich kaum noch zu erwehren vermochten.
Wir verkennen keineswegs das gewaltige vaterländische Interesse, das aus diesen Anfragen hervorleuchtet, müssen aber doch die Bitte an die Bürgerschaft richten, nicht jedem Gerücht ohne Weiteres Glauben zu schenken und weiterhin darauf zu vertrauen, daß über entscheidende Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz von uns sofort durch Sonderausgaben öffentlich Kenntnis gegeben wird.
Anfragen, namentlich wenn sie sich derart häufen, wirken störend auf den geregelten Gang unseres täglichen Redaktions- und Expeditionsdienstes.

Die Verlustliste Nr. 15 wird soeben veröffentlicht. Soweit ersichtlich, sind aus Bonn und Umgebung keine Namen aufgeführt.

Größere Verwundeten-Transporte sind im Laufe des gestrigen Tages hier angekommen. Die Soldaten wurden nach den einzelnen Lazaretten übergeführt. Bei einem Transport, der von der Westgrenze nach Bonn kam und nach Köln weiterfuhr, befanden sich sehr viele Franzosen und Turkos.

Die Bonner Sterbekasse hat in ihrer vorgestrigen Hauptversammlung einstimmig beschlossen, daß das Sterbegeld auch den Mitgliedern gezahlt werden soll, die im Felde fallen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Unwürdige Neugier. Man rege sich wegen des Angaffens der Verwundeten nicht so auf! Sie so sehr empörter Deutscher! Erstens läßt sich keiner die Augen verbinden, noch hält sich einer bei solch ungewöhnlichem Transport die Augen zu. Zweitens ist es ja jedem freigegeben, dahin zu schauen, wohin er will. Drittens hat der Empörte wohl keinen lieben Angehörigen oder guten Freund, daß ihm der Gedanke nahe liegen könne, einmal zuzuschauen, ob sich vielleicht einer bei den Verwundeten befände, denn diese Möglichkeit ist doch heute nicht ausgeschlossen. Verwehre man dem Volke resp. den Heimgebliebenen nicht das Zuschauen. Allerdings muß für Platz und Ordnung beim Passieren der Verwundeten Rücksicht genommen werden. War ich doch verschiedentlich, da ich selbst drei Söhne und drei Brüder im Felde habe, Zeuge, daß Männer sich nicht der Tränen erwehren konnten. Und hört man nicht leises Schluchzen in der Menge der Zuschauer. Dankbare Blicke werden den tapferen Soldaten gezollt, die vielleicht gar in heimtückischer Weise kampfunfähig wurden. Ja, mir selbst traten die Tränen in die Augen, wenn man so nahe am Transportwege wohnt und so oft Gelegenheit hat, diese traurigen Züge passieren zu sehen. Wer auch nur einen seiner Lieben unter den Kämpfenden hat, weiß, was er in diesen Tagen befürchtet und empfindet beim Anblick der Verwundeten. Der Einsender sieht auch lieber einem lustigen Studentenumzug zu; das würden wir Bonner wohl alle lieber tun. Dem Empörten rate ich, sich bei seinen Ausgängen ein paar Scheuklappen mitzunehmen, damit er nicht in Versuchung falle, auch hinzuschauen. Eine tief fühlende Bürgerin

 

„Unwürdige Neugier“. Auf das Eingesandt „Unwürdige Neugier“ nehme ich an, daß der Einsender gemütskrank ist. Sollte es aber nicht zutreffen, so kann ich ihm nur sagen, daß er absolut keine Ahnung von den wahren Gefühlen der Zuschauer hat, Schreiber dieses hat selbst zufällig am 29. August am Güterbahnhof gestanden, ebenso verschiedene Verwundetentransporte in der Stadt gesehen und ist ihm die allgemeine, innige würdevolle Anteilnahme der Zuschauer für die Verwundeten aufgefallen. Der Ausdruck „unwürdige Neugier“ ist eine Beleidigung für fast alle Bonner Bürger oder „Volk“, wie es der Einsender zu nennen beliebt. Ich bin überzeugt, wer einmal einen solchen Transport zerschossener Krieger gesehen hat, geht zum zweitenmal nicht wieder absichtlich des Weges als Zuschauer. Verschiedene Bekannte hat der Anblick so ergriffen, daß er ihnen ein ganz außerordentlicher Ansporn zur Mildtätigkeit geworden ist. Ein verwundeter deutscher Soldat schämt sich nicht, wenn die ganze Welt zuschaut, im Gegenteil, je mehr Zuschauer je lieber; der deutsche Soldat kennt die inneren Gefühle seiner vernünftigen Mitbürger. Nur Leute, welche nie Soldat waren, maßen sich solche Ausdrücke, wie „unwürdige Neugier“ usw. an. Es wird überhaupt in letzter Zeit von einigen Kleinigkeitskrämern um Lappalien gleich nach der Behörde geschrieen, daß allgemein der Wunsch laut wird, für solche Schreier eine Freistelle für kalte Douchen zu stiften. Ein 1900 verwundeter deutscher Soldat (Verzichtet auf Antwort)

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)

 

Der M.-G.-V. Apollo hatte am Sonntag seine Kräfte in den Dienst des Roten Kreuzes gestellt. Obschon der Vorsitzende, Herr Landrichter Kaufmann, und der Dirigent, Herr Henrici, nebst sehr vielen Sängern zur Fahne geeilt sind, waren doch von den noch anwesenden Mitgliedern eine recht stattliche Zahl dem Rufe des Vereins gefolgt. Eingeleitet wurde das Konzert durch Musikvorträge. Recht patriotisch wurde die Stimmung, nachdem der Apollo die ersten, alle dem jetzigen Zeitgeist entsprechenden Volkslieder zu Gehör gebracht hatte. Der zweite Vorsitzende, Herr Klug, hielt eine kurze Ansprache und brachte ein dreifaches Hoch auf den Kaiser aus, worin alle Anwesenden begeistert einstimmten. Mehrere patriotische Lieder wurden gemeinsam gesungen. Einen weiteren Glanzpunkt bildete die Vorführung von lebenden Bildern. Reicher Beifall lohnte die Mitwirkenden, Frau Landrichter Kaufmann veranstaltete persönlich noch eine Sammlung, welche mit den Eintrittsgeldern eine recht stattliche Summe einbrachte. Der Apollo darf mit dem Resultat seiner Veranstaltung nach jeder Hinsicht hin vollkommen zufrieden sein. Die unter der Leitung des Herrn Eschweiler zu Gehör gebrachten Vorträge des Vereins waren trotz der geringen Sängerzahl stimmlich vollwirkend, wie durch Aussprache und Technik erstklassisch, was durch reichen Beifall der Anwesenden anerkannt wurde. Besonderer Dank gebührt allen Mitwirkenden und auch dem Besitzer der Casselsruhe, Herrn Kessel, welcher durch sein Entgegenkommen viel zu dem Gelingen der guten Sache beigetragen hat. 150 Mark konnten für die Zwecke des Roten Kreuzes abgeliefert werden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Nach einer grausigen Schlacht, die gestern stattfand, viele Grüße an Euch alle, Ihr Lieben. Wir haben unter schweren Verlusten gesiegt. (...) Kinder, wir haben in der Nacht gebetet. Unser halbes Bataillon ist weg. Zu Eurer Beruhigung nur diese Zeilen. Euer August

(August Macke an seine Ehefrau, Feldpostkarte)