Donnerstag, 6. August 1914

 

Bittgottesdienst. Am gestrigen Bettage wurde in den hiesigen katholischen und evangelischen Kirchen, in der altkatholischen Kirche, sowie in der Synagoge, der vom Kaiser angeordnete Bittgottesdienst unter durchaus starker Beteiligung gefeiert. Die Gläubigen füllten die Gotteshäuser bis auf den letzten Platz. Bei der in der evangelischen Kirche am Kaiserplatz angesagten Bettagsfeier war die Teilnahme der Andächtigen so groß, daß auch in der Schlosskirche noch ein gleichzeitiger Gottesdienst angesetzt werden mußte. Auch dies Gotteshaus war bald überfüllt. So fand dann auf der Hofgartenwiese unter freiem Himmel noch ein Gottesdienst statt, den Professor Sell leitete.

Einquartierung. Am Sonntag habe wir hier Einquartierung. Reservisten, Landwehrleute und Mannschaften aktiver Truppenteile werden bei den einzelnen Bürgern in Quartier gegeben. Es ist eigentlich die selbstverständlichste Sache, es ist die Pflicht, ja mehr noch, es sollte eine Freude und Genugtuung für jeden einzelnen sein, die Soldaten, die bei ihm in Quartier sind, gut zu verpflegen. Sicher denkt auch die Mehrheit unserer Bürgerschaft so. Es gibt aber überall Leute, die ihre eigene wohlfeile Bequemlichkeit höher schätzen, als die Pflicht, die sie gegen andere haben. So ist es vielleicht gut, darauf hinzuweisen, daß berechtigte Beschwerden, die dem Einquartierungsamt gemeldet werden, sehr unangenehme Folgen für die Quartiergeber haben werden. Man würde rücksichtslos gegen sie vorgehen. Und mit Recht.

Ausländer. Wer Kenntnis oder auch den Verdacht hat, daß Ausländer, die den feindlichen Nationen angehören, noch in der Stadt verweilen, hat die Verpflichtung, dem Polizeiamt sofort Meldung hiervon zu machen. (…)

Der Postverkehr zwischen Deutschland und England ist gänzlich eingestellt. (…)

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")

 

Frau Prinzessin zu Schaumburg-Lippe hat den Ehrenvorsitz im Vaterländischen Frauen-Verein Stadtkreis Bonn übernommen, und in ihrem Palais eine Sammelstelle für alle die Geldspenden, Wäsche- und Lebensmittellieferungen eingerichtet, die durch genannten Verein den Familien der ins Feld ziehenden Krieger und der ärmeren Ortsbevölkerung zugeführt werden sollen. Die Sammelstelle ist täglich von 10-12 Uhr vormittags geöffnet.

Landes-Bettag. Kühle Dämmerung ist in dem hohen Gotteshaus. In den Bänken und Seitengängen drängen sich Mann und Frau, Schuljugend, Soldaten. Vor den Altären brennen weiße Kerzen. Stilles Flackerlicht beleuchtet ernste Gesichter. Die Orgel verklingt und ein Geistlicher betritt die Kanzel. Es ist still in dem weiten Gotteshaus. Von schwerer Zeit, die über das Vaterland hereingebrochen ist, spricht der Seelsorger. Bilder, die man aus dem letzten großen Kriege in Erinnerung hat, entrollen sich vor den Augen der Zuhörer. „Vaterlandsliebe, Gottesfurcht, Gottvertrauen“, das sind Worte, die immer wieder ernst und demütig erklingen. Nicht Eroberungslust ist es, die uns das Schwert in die Hand drückt, bitterste Not und das Bewusstsein, unser Anzeige im Bonner General-Anzeiger vom 6. August 1914Vaterland zu schützen. Der Geistliche spricht von dem Krieg, der uns aufgezwungen wurde, und daß er gekämpft werden muß. Mit Gott für König und Vaterland! Wo Gottvertrauen ist, da ist Gotteshilfe. Mit Demut vor dem Höchsten greifen wir zum Schwert, in Liebe und Verehrung für unseren Kaiser, für unser Vaterland. Von manchem anderen redet der Geistliche, hier und da schluchzt jemand auf; man hört Trostworte für die Mütter und Frauen, anfeuernde Worte für die Ausziehenden. Dann wird es still in dem Gotteshaus, und nur aus den Herzen ringen sich heiße Gebete los.

Da beide evangelischen Kirchen überfüllt waren, sammelte sich eine große Anzahl Gläubiger vor dem akademischen Kunstmuseum im Hofgarten, wo Prof. Sell eine begeisterte Ansprache mit Gebet hielt.

Die Mietzahlung in Kriegszeiten. Die irrige Meinung ist verbreitet, die Mieter brauchten im Kriegsfalle keine Miete und die Hauseigentümer keine Zinsen zu bezahlen. Das stimmt nicht. Nur wer nachweisbar seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen nicht in der Lage ist, muß bei der Behörde Stundung beantragen.

Die Preise für Brot sind gestern durch eine Kommission von Bäckermeistern zusammen mit der städtischen Verwaltung festgesetzt worden. Brötchen werden nicht mehr gebacken, weil das Personal zum Backen und Austragen fehlt.

Frau Prinzessin Adolf zu Schaumburg-Lippe besuchte gestern nachmittag zwischen 4 und 5 Uhr längere Zeit die Erfrischungsstation am Güterbahnhof und Personenbahnhof.

Zur Nachahmung! Der Kegelklub Glückauf überwies seine Kegelkasse im Betrage von 101,61 Mark dem hiesigen Roten Kreuz.

Als jüngster Freiwilliger hat sich der sechszehnjährige Sohn des Herrn von Deichmann beim hiesigen Husarenregiment gestellt. Eine große Anzahl jugendlicher Freiwilligen mußte zurückgewiesen werden.

Elf Spione sollen nach einer amtlichen Bekanntmachung des Bürgermeisters von Euskirchen am Sonntag in Köln erschossen worden sein. Die meisten waren in Trauerkleidung.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Einquartierung. Es ist vorgekommen, daß Bonner Bürger, die erst abends spät die Nachricht erhielten, sie müssten in der Nacht einem oder mehreren Soldaten Aufnahme gewähren, den Kriegern die gewünschte Unterkunft verweigerten, weil sie nicht vorbereitet seien und erst Platz schaffen müssten. Es ist aber in der, auch in der Deutschen Reichszeitung veröffentlichten Bekanntmachung über Einquartierung ausdrücklich betont worden, daß sich die gesamte Einwohnerschaft auf Einquartierung (die übrigens nicht unentgeltlich zu erfolgen braucht) vorbereiten möge. Es lässt sich in solchen Zeiten nicht immer die Einquartierung einen halben Tag vorher anmelden. Und es beweist wenig Vaterlandsliebe und menschliches Empfinden, wenn man den jungen deutschen Männern, die einige Tage später für einen jeden von uns ihr Leben einsetzen, die Türe weist.

Der erste Verwundeten-Transport deutscher Soldaten aus den Gefechten in Belgien wurde gestern Nachmittag in Bonn erwartet. Der Zug traf aber nicht ein. Man nimmt an, daß die Verwundeten – ihre Zahl soll nicht groß sein – inzwischen schon in den deutschen Städten, die der Grenze näher liegen, Pflege gefunden haben. Ein anderer Zug mit kranken Soldaten trifft voraussichtlich heute Nachmittag hier ein.

Warnung für Neugierige! In Koblenz wurde gestern der Lehrer am Konservatorium, Organist Felix Riter, der sich in der Nähe von Eisenbahnanlagen über Truppenverhältnisse erkundigte und dadurch die Aufmerksamkeit eines Postens erregte, nachdem er trotz wiederholten Anrufens und Abgebens von Schüssen nicht stehen geblieben war, erschossen.

Heute vor 44 Jahren kämpften unsere wackeren Bonner „Lehm ops“ mit Bravour bei Saarbrücken, Spichern und Wörth unter General von Steinmetz gegen die Franzosen, die General Frossard befehligte. Nach hartem Ringen waren die Franzosen glänzend geschlagen, und die Spicherner Höhen, hinter welche der Feind sich äußerst stark verschanzt hatte, wurden im Sturm genommen. Unsere „Lehm ops“ haben dabei fast Uebermenschliches geleistet. Darum müssen wir Bonner des heutigen Tages besonders gedenken.

Es sei bei dieser Gelegenheit auch einer tapferen Bonnerin, namens Bertha Rieth rühmend gedacht, welche mit einer Frau Bruch und deren Tochter aus Saarbrücken im dichtesten Kugelregen die verwundeten Soldaten aus dem Schlachtgetümmel trug, und dadurch vielen Braven das Leben rettete. Nach der Schlacht pflegte sie im Ruhrlazarett die kranken Soldaten und wurde schließlich selbst von der Ruhr befallen.

Not-Reifeprüfung. Auf erneute telegraphische Verfügung aus dem Kultusministerium konnte in beiden Oberprimen des städtischen Gymnasiums und Realgymnasiums eine starke abgekürzte Notreifeprüfung stattfinden. Aus der gymnasialen Abteilung treten 22, aus der realgymnasialen 20 Oberprimaner in die Prüfung ein. Das Examen, das gestern am Spätnachmittag zu Ende ging, hatte das erfreuliche Ergebnis, daß allen Prüflingen das Zeugnis der Reife zuerkannt wurde unter der Voraussetzung, daß sie im Laufe des ausgebrochenen Krieges sich in irgendwelcher Eigenschaft in den Dienst des Vaterlandes stellen. Herr Direktor Riepmann, unter dessen Vorsitz sich die Prüfungen vollzogen, betonte in seinen Abschiedsworten, daß auch diese kurze, unvorbereitete Prüfung den Beweis tüchtiger Schulung mit guten Leistungen geliefert habe. Die Mehrzahl der Abiturienten ist schon bei den verschiedensten Regimentern zum freiwilligen Dienst bzw. als Fahnenjunker eingestellt worden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, „Bonner Nachrichten“)